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im Gespinst der Zeit –  Kulturhof Oma Inge zeigt Kunst in den Weinbergen

„Das Nichts ist nur eine Achse“, verkündet eine Tafel in vergoldeten Lettern inmitten der Installation von Peter Ketturkat, inmitten von rostigem Ackergerät, das an meterhohen Stangen in die Luft ragt. Darüber ziehen Flugzeuge ihre eigenartigen Timelines, kreuzen sich die zerfasernden Kondensstreifen. Die Zeit auch eine Achse? Oder eher ein Gespinst, in dem wir hängen?
Mit ihrer Zeitwebe, flüchtig wirkenden Geflechten aus Entenfedern, hat Ingrid Heuser sicher eines der leichtesten Werke für die MO/VE/MENTS in den Weinbergen Schornheims geschaffen, die am Sonn-tag, den 26.09., leider schon wieder zu Ende gingen.
Etwas versteckt hingen die Gebilde unter Bäumen am Wegesrand und erzählten nicht zuletzt von den vielen Stunden, die die Künstlerin mit dem Knüpfen der feenhaft-spinnwebartigen Gebilde zugebracht hat. Ebenso wie Elli Spiekermann mit dem Weben der farbigen Bänder für ihr großes Radnetz, das in der unmittelbaren Nachbarschaft hing.
Auf ganz andere Dimensionen verwies Kathrin Schik, indem sie vor ihre weiße Aussichtskanzel über einem Abhang ein Aquarium mit Muscheln stellte, die sie alle in der Region gefunden hatte – späte Zeugen einer Zeit vor Jahrmillionen, als dort, wo heute die Weinstöcke die Hügel überspannen, Aus-läufer der Nordsee das Mainzer Becken fluteten.
„Ma Vue“, meine Sicht, hieß die Arbeit, die zum Verweilen einlud und dazu den Blick in die Land-schaft schweifen zu lassen. Mit postkartengroßen Aquarellen, die typische Urlaubsmotive zeigten, konfrontierte die Künstlerin den Blick auf die reale Umgebung, die Felder mit der viel befahrenen Bundesstraße im Hintergrund, mit Sehnsuchtsorten ferner oder auch näherer Länder.
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“. Die Arbeiten der 25 Künstler, die der Einladung der Initiatorinnen und Organisatorinnen Kathrin Schik und Christina Bruns-Yilmaz nach Schornsheim gekommen waren, bestätigten diese 100 Jahre alte Erkenntnis Pauls Klees auf vielfältige Weise. Ob Dorothea Kirsch in ihrer wuchtigen, aus Fundstücken zusammengeschweißten Eisenplastik eine an sich winzige Weinblüte ins Große übersetzte und dabei mit einem Geschmeide aus leuchten-den Steinen unter schwebenden Schlüsseln den verborgenen Vorgang der Befruchtung thematisierte, oder der Fotograf Thomas G. Tempel mit seinen Makrofotomontagen Insekten und Pilze in serielle Farbräusche auflöste.
Sie machten aber auch die Nöte und Probleme unsere Zeit sichtbar. Elli Spiekermann etwa nannte ihre Arbeit nicht wie angekündigt „Altweibersommer“, sondern „Verliert uns nicht aus den Augen“ und verschob so den Fokus von der Schönheit Natur, hin zur Lage der Frauen in Afghanistan, deren Arbeit sie seit Jahren unterstützt. Und Christina Bruns-Yilmaz antwortete mit einem trotzigen „Danser en-core“ (etwa: immer noch tanzen oder weiter tanzen), materialisiert als flirrende Skulptur aus Bam-busstäben und leuchtendem Plexiglas, auf die Nöte unserer von der Pandemie geprägten Gegenwart.
All diese Positionen und Entdeckungen wollten erwandert sein. Über rund zweieinhalb Kilometer zog sich der Kunstparcours. Die innige Verbindung von Landschaft und Kunst, der Wechsel von Bewe-gung und Betrachten ist das besondere an den MO/VE/MENTS, die nach dem Debut 2019 zum zwei-ten Mal stattfanden, diesmal auch unter Beteiligung männlicher Künstler. Gut 1500 Besucher erwan-derten die zweiwöchige Ausstellung.
Einige Kunstwerke fügten sich so selbstverständlich in die Landschaft, dass man sich gewünscht hätte, sie würden dort bleiben. Vielleicht nicht „für immer“, aber doch für eine nach menschlichem Maß lange Zeit. So bleibt nur die Hoffnung auf die Fortsetzung dieser einmaligen Kunstdarbietung in zwei Jahren.

Peter Piontek